Wirtschaftliche Flaute in Deutschland – eine Analyse und Perspektiven für die Zukunft

Wie kann Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit stärken und den Weg aus der Krise finden? Im exklusiven Interview erläutert Prof. Dr. Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums für Konjunktur und Wachstum am IfW Kiel, die aktuelle Wirtschaftslage und skizziert Strategien für neue Wachstumsimpulse. 

©IfW/Michael Stefan

„Die Schuldenbremse ist keine Investitionsbremse.“
Prof. Dr. Stefan Kooths

Deutschlands Konjunktur schwächelt, während andere EU-Länder deutlich bessere Wachstumsprognosen vorweisen können. Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?

In Deutschland überlagern sich konjunkturelle und strukturelle Schwächen. Für eine angemessene Diagnose und die daraus folgende Therapie muss man beides auseinanderhalten. Bloße Rankings der Zuwachsraten für einzelne Jahre können das nicht leisten. Zudem belasten immer noch außergewöhnlich hohe Krankenstände die Wirtschaftsleistung.


Bleiben wir bei den Ursachen für die konjunkturelle Delle. Hat es die Bundesregierung versäumt, Wachstumsimpulse zu setzen?

Konjunkturell hatte zuletzt die schwindende Massenkaufkraft infolge des Preisschubs dem privaten Konsum zugesetzt, während die Exportwirtschaft mit einer schwächelnden Weltwirtschaft mit Blick auf ihr Produktportfolio zu kämpfen hatte. Beide Belastungsfaktoren dürften nun nachlassen. Die Lohnentwicklung – wie auch höhere Transfers – lassen die realen Masseneinkommen nun steigen und der Welthandel fasst allmählich wieder tritt. Ein Sonderproblem haben wir in der Bauwirtschaft, insbesondere im Wohnbau. Dort sind die Preise zuletzt derart aus dem Ruder gelaufen, dass sie nun nicht mehr zu den Finanzierungskonditionen passen. Hier braucht es entsprechende Preiskorrekturen, die über marktwirtschaftliche Mechanismen auch eintreten werden. Insgesamt sind daher keine staatlichen Wachstumsimpulse im Sinne von Konjunkturprogrammen angesagt – diese würden nur den Preisauftrieb anfachen bzw. im Baubereich die hohen Margen konservieren. Was der Konjunktur indes zusetzt, ist die in Deutschland weit überdurchschnittlich hohe wirtschaftspolitische Unsicherheit, die insbesondere auf den privaten Investitionen lastet.


Im Sinne einer Angebotspolitik brauchen wir dringend Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung. Wie kann das mit Einhalten der Schuldenbremse gelingen, wenn Subventionen/ Sozialbudgets parallel eher unflexibel sind. Können wir uns ein „Zuwarten“ leisten?

Die Schuldenbremse ist keine Investitionsbremse – das zeigen auch internationale Vergleiche. Innerhalb des staatlichen Budgets ist es eine Frage der Priorisierung, wofür staatliche Mittel bereitgestellt werden. Dass in Zeiten allseits geforderter Investitionsstärkung über ein Rentenpaket II diskutiert wird, das die Standortqualität weiter belastet, spricht Bände. Das lässt vermuten, dass ein erweiterter Schuldenrahmen wieder nur konsumtiv verausgabt wird. Subventionen und Sozialausgaben sollten nicht als unantastbar gelten. Sonst landet man irgendwann bei Schuldenquoten wie in Frankreich, und das Geld reicht immer noch nicht. Insbesondere für die Infrastruktur können kapitalmarktfähige Investitionsgesellschaften eine Lösung sein, vorausgesetzt, die privaten Kapitalgeber werden auch am Risiko beteiligt. Denn nur dann haben sie ausreichende Anreize, auf eine rentable Mittelverwendung zu achten.


Deutschlands starke Binnenkonjunktur hat bislang immer dazu beigetragen, die Effekte von Wirtschaftskrisen abzufedern. Warum ist das aktuell nicht mehr so?

In den vergangenen drei Jahren waren die real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte im Zuge des postpandemischen Preisauftriebs sowie hoher Energiepreise gesunken, das geht nicht spurlos an der Konsumnachfrage vorbei. Und der Wohnungsbau leidet spätestens seit der Zinswende unter den zu hohen Preisen, die auch daher rühren dürften, dass die hohen Extraersparnisse aus der Pandemiezeit vor allem in die Baunachfrage flossen und dort wegen begrenzter Kapazitäten die Preise getrieben hatten. Zudem leidet bei hoher Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik das Investorenvertrauen. Statt industriepolitisch einzelne Unternehmen und Technologien über Subventionen zu päppeln, wäre es gesamtwirtschaftlich stimmiger, wenn sich der Staat auf die Stärkung der allgemeinen Standortfaktoren konzentriert und die konkreten Investitionsentscheidungen den Marktakteuren überlässt.


Zuletzt verhängten die USA Strafzölle auf Produkte aus China. Steht uns eine Zeit der Abschottungspolitik bevor und welche Folgen hätte eine Abschottungspolitik für die Exportnation Deutschland?

Wir erleben bereits seit Ausbruch der Pandemie ein Revival protektionistischer Maßnahmen. Die jüngsten Maßnahmen in den USA sind eher weitere Nadelstiche, die allerdings mit dem Risiko verbunden sind, dass sich der Konflikt weiter aufschaukelt. Abschottung ist ein schlechter Ratgeber, vielmehr ist Diversifizierung das Mittel der Wahl. Hierbei muss man die Unternehmen nicht zum Jagen tragen, weil sie selbst ein starkes Interesse an stabilen Lieferbeziehungen haben, sowohl auf der Beschaffungs- wie auf der Absatzseite. Dann sollte man aber die Bewirtschaftung von Lieferketten nicht noch weiter verteuern, wie es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vorsieht. Auch gehört dazu, dass diejenigen, die zu scharf am Wind segeln und dadurch ihre Resilienz gefährden, das Risiko selbst tragen müssen. Nur dann wird es entsprechend an den Kapitalmärkten eingepreist. Statt neuer Vorschriften und protektionistischer Vorstöße sollte der Staat daher lieber glaubhaft machen, dass er sich von Bail-outs fernhält. Dies würde der Disziplinierung über Marktkräfte zugutekommen.

Prof. Dr. Stefan Kooths hielt beim Wirtschaftspolitischen Dialog am 04. Juni 2024 in Berlin einen Vortrag zum Thema „Raus aus der Flaute – Segel für mehr Angebotspolitik setzen“. Mehr zum Programm der Veranstaltung finden Sie hier.