Ungarns EU-Agenda und die Vision hinter „Make Europe Great Again“ – Ein Interview mit Dr. Péter Györkös, Botschafter von Ungarn in Deutschland

Im exklusiven Interview gibt Dr. Péter Györkös, Ungarns Botschafter in Deutschland, Einblicke in die Schwerpunkte der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Er spricht über die Vision „Make Europe Great Again“, die Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Wirtschaft sowie über die neue politische Fraktion „Patrioten für Europa“.  

Dr. Péter Györkös, Botschafter von Ungarn in Deutschland

 

Was verbinden Sie als Botschafter persönlich mit Europa??

Manches schon. Meine diplomatische Laufbahn begann als DDR-Referent in Budapest im 1989 mit der Grenzöffnung für die ostdeutschen Flüchtlinge. Das war der erste Stein aus der Berliner Mauer, der erste Schritt Richtung deutscher und europäischer Wiedervereinigung. Ich war dann Diplomat in Bonn, später begleitete ich den Beitrittsprozess meines Landes in die EU als Sekretär der Verhandlungsdelegation, war ständiger Vertreter bei der EU zwischen 2010 und 2015, d.h. auch während der ersten ungarischen EU-Ratspräsidentschaft.

Ungarn nutzt als Slogan seiner EU-Ratspräsidentschaft „Make Europe Great Again“. Welche Visionen und Ziele stehen hinter diesem Slogan?

Die inhaltlichen Schwerpunkte unserer EU-Ratspräsidentschaft sind darauf ausgerichtet, dass wir Europa wieder stärker machen. Unser Slogan „MEGA“ widerspiegelt diese Ambition. Ungarns erste Ratspräsidentschaft im Jahre 2011 hatte auch das Motto „Strong Europe“. Was wir sehen: In den letzten 10-15 Jahren wurde die EU weniger reich, dafür schwächer im internationalen Vergleich. Mit dieser Entwicklung wollen wir uns nicht abfinden; sie gehört zu stoppen und umzukehren. Wir werden eine proaktive Präsidentschaft sein, wir möchten etwas bewegen.

Ungarn hat ein umfassendes Programm präsentiert zur EU-Ratspräsidentschaft. Welche Prioritäten setzen Sie? Was ist ihr größtes Anliegen in den nächsten sechs Monaten??

Die ungarische Regierung definiert sieben Prioritäten für die Präsidentschaft: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit; Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten und der -industrie; Eindämmung der illegalen Migration, mit besonderem Fokus auf die externe Dimension; Fortschritte bei der EU-Erweiterung; Gestaltung der zukünftigen Agrar- und Kohäsionspolitik; Bewältigung der demografischen Herausforderungen. Unsere horizontale Priorität ist die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit; wir wollen diese Zielsetzung in allen Politikbereichen zur Geltung bringen.

 

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken, ist eine zentrale Herausforderung für Europa. Vor diesem Hintergrund haben die Staats- und Regierungschefs im April einen „New European Competitiveness Deal“ gefordert, um den Binnenmarkt zu stärken und die Kapitalmarktunion voranzubringen. Mit welchen konkreten Maßnahmen will Ungarn in seiner Ratspräsidentschaft die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen insgesamt und speziell KMU stärken?

Es ist in der Tat grundsätzlich, dass wir die europäische Wirtschaft wieder ankurbeln und die Bedingungen für ein dauerhaftes Wachstum schaffen. Der „Neue Deal“ für die europäische Wettbewerbsfähigkeit hat für uns oberste Priorität. Der Letta-Bericht vom April 2024 enthält bereits eine Reihe von Reformvorschlägen, zum Beispiel die Eliminierung von Binnenmarkthürden, den Abbau der Bürokratie und der Berichtspflichten, die Verbesserung der Finanzierung. Wir warten noch auf den Draghi-Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit, welcher sicherlich weitere Reformschritte anmahnen wird. Wir wollen all diese Vorschläge mit den Mitgliedstaaten diskutieren und in den „Neuen Deal“ einbauen.

In seinem Programm der Ratspräsidentschaft betont Ungarn die Bedeutung von Investitionen und nachhaltigem Wachstum. Welche spezifischen Initiativen werden ergriffen, um diese Ziele zu erreichen, und wie soll die Haushaltsdisziplin dabei gewahrt werden?

Um Ihnen ein konkretes Beispiel zu geben: Der Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ tagte vor Kurzem in Budapest. Im Mittelpunkt der Tagung standen zwei Schlüsselthemen der Wettbewerbsfähigkeit: die Beschleunigung der Verbreitung der Elektromobilität und die Förderung des Einsatzes von künstlicher Intelligenz. Die Industriestrategie der Europäischen Union unterstützt nachdrücklich die grüne und digitale Transformation der Automobilindustrie. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir jedoch effizientere Lösungen in Schlüsselbereichen wie Ladeinfrastruktur, Netzkapazität, Batterien und kritische Rohstoffe, Kompetenzen und Bezahlbarkeit finden und dabei die Entwicklungen auf dem Weltmarkt berücksichtigen und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken. Elektroautos sind ein Schlüsselelement für die künftige Wettbewerbsfähigkeit und ein wichtiger Faktor für den Standort Europa und für hiesige Investitionen. Auch bei den finanziellen Mitteln sollten wir das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit stärker vor Augen führen. Unser Ziel ist es, eine strategische Debatte auf hoher Ebene über die Zukunft der Kohäsionspolitik und ihre Rolle bei der Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung sowie bei der wirksamen Bewältigung der demografischen Herausforderungen zu führen.

Die Parteien Fidesz aus Ungarn, FPÖ aus Österreich, und ANO aus Tschechien haben sich entschieden mit „Patrioten für Europa“ eine neue Fraktion zu gründen.?

Das ist grundsätzlich eine parteipolitische Frage. Ungarn vertritt die Auffassung, dass die EU eine Union der Mitgliedstaaten – und nicht der Institutionen – ist. Und die EU kann nur dann stark sein, wenn die Mitgliedstaaten stark sind.

 

Dr. Péter Györkös, Botschafter von Ungarn in Deutschland, hielt am 15. Juli 2024  in der ungarischen Botschaft in Berlin im Rahmen einer WPCD-Veranstaltung einen Vortrag zum Thema „Die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns – Impulse für mehr Wettbewerbsfähigkeit“. Mehr Informationen und ein Rückblick der Veranstaltung finden Sie hier.