07.04.2024 | „Der Unbeugsame“ im Kanzleramt? – Daniel Goffart über Friedrich Merz Persönlichkeit, seine Werte und Visionen für Deutschland und Europa

Friedrich Merz steht künftig an der Spitze Deutschlands und trägt als Kanzler die Verantwortung für ein Land, das vor gewaltigen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen steht. Doch wie wird er in dieser Rolle agieren? Welche Werte und Prinzipien bestimmen seinen politischen Weg? Der WPCD hat exklusiv mit Daniel Goffart, dem Autor der neuen Biografie von Friedrich Merz und Chefreporter der Wirtschaftswoche gesprochen. Goffart gibt tiefgehende Einblicke in Merz’ Persönlichkeit und seine Zukunftsvisionen für Deutschland und Europa.

©Stefan Zeitz

Daniel Goffart bei der Präsentation der neuen Biografie über Friederich Merz am 7. April 2025.

Herr Goffart, Sie haben bereits mehrere politische Biografien verfasst. Worin unterscheidet sich Friedrich Merz von anderen politischen Persönlichkeiten, über die Sie geschrieben haben?

Friedrich Merz ist zwar kein Newcomer, aber er ist nach zehnjähriger Politik-Pause wieder auf die Berliner Bühne zurückgekehrt. Das ist extrem ungewöhnlich und in der Regel bei solchen Comebacks von „Alt-Politikern“ auch nur wenig erfolgreich. In seinem Fall ist ihm das wohl spektakulärste Comeback in der Geschichte des Bundestages gelungen: Vom Aussteiger zum Kanzler – das hat noch keiner geschafft.

In Ihrer Biografie beschreiben Sie Merz als den „Unbeugsamen“. Können Sie Beispiele nennen, die diese Charaktereigenschaft in seiner politischen oder beruflichen Laufbahn besonders deutlich machen? 

Nun, er hat dreimal Anlauf nehmen müssen, um an die Spitze der CDU zu gelangen. Das bedeutet, dass er sich weder von medialer Kritik noch von seinen innerparteilichen Gegnern hat entmutigen lassen. Zweimal antreten, zweimal scheitern, trotzdem immer wieder aufstehen und erneut kämpfen – das hat schon etwas von einem unbeugsamen Willen und großem Kampfgeist.

Welche Charaktereigenschaften und Fähigkeiten von Merz halten Sie für hilfreich für das Amt des Bundeskanzlers, um die anstehenden Herausforderungen auf nationaler und internationaler Ebene zu bewältigen? Was unterscheidet ihn vom ehemaligen Bundeskanzler Olaf Scholz?

Merz ist ein brillanter Redner, er hat großes politisches Wissen und viel Erfahrung aus der Welt der Wirtschaft mit in die Politik gebracht. Das wird ihm helfen. Allerdings muss er lernen, seinen Emotionen nicht so spontan nachzugeben, sondern sich überlegter und geplanter aufzustellen. Da war Olaf Scholz ihm voraus, auch wenn er am Ende als Ampel-Kanzler gescheitert ist. Aber in Sachen Taktik und langfristige Strategie hat Merz noch viel Luft nach oben.

Kritiker werfen Merz vor, im Wahlkampf eine strikte Schuldenbremse versprochen und nun eine Kehrtwende vollzogen zu haben. Wie schätzen Sie die Auswirkungen dieser Kursänderung auf seine Glaubwürdigkeit ein?

Seine Glaubwürdigkeit ist dadurch natürlich stark angeschlagen. Den Wortbruch wegen der Schuldenaufnahme zugunsten der Verteidigung wird man ihm wegen der unvorhersehbar raschen und radikalen Abwendung der USA von Europa wohl noch verzeihen – wir brauchen leider wieder mehr Rüstung zu unserem Schutz. Aber dass Merz den alten, abgewählten Bundestag missbraucht, um sich auch noch weitere 500 Milliarden Euro Schulden für die Investitionen in die Infrastruktur absegnen zu lassen, ist schon ein starkes Stück. Dafür hätte er sich als Kanzler im neu gewählten Bundestag eine Mehrheit organisieren müssen – das wäre ehrlicher gewesen.

CDU-Politiker fordern, den Forderungen der SPD nicht zu sehr nachzugeben und dringend notwendige Strukturreformen einzuleiten sowie eine Umschichtung im Bundeshaushalt für mehr Investitionen durchzusetzen. Kann sich Merz hier durchsetzen? 

Ich hoffe sehr, dass er das kann. Aber nachdem er der SPD schon vor Beginn der Verhandlung den Wunsch nach diversen „Sondervermögen“ in einer Gesamthöhe von einer Billion Euro erfüllt hat, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Mit einer Billion im Rücken sieht nämlich kein Politiker der SPD noch ein, warum er irgendwo sparen soll. Warum auch? Ist doch genug Geld da! Aber wie gesagt: In Sachen Taktik und Langfristplanung ist bei Merz noch Luft nach oben.

Merz plädiert für eine stärkere Rolle Deutschlands in der Europäischen Union. Wie genau stellt er sich diese vor, und welche Veränderungen auf europäischer Ebene wären aus seiner Sicht notwendig, um dieses Ziel zu erreichen?

Zunächst einmal muss Merz das berüchtigte „german vote“ in Brüssel so weit wie möglich verhindern, also die Enthaltung, weil man sich in der Koalition in Berlin nicht einig geworden ist. Außerdem muss er die Achse Paris-Berlin wiederherstellen, am besten ergänzt durch Polen. Schließlich muss er versuchen, von der versprochenen Asylwende so viel wie möglich gegen unsere Nachbarn durchzusetzen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, Flüchtlinge einfach nach Deutschland durchzuwinken – obwohl die Schengen-Regeln sie zur Aufnahme zwingen.

Als Chefreporter der WirtschaftsWoche haben Sie die europäische Wirtschaftspolitik intensiv verfolgt. Wie beurteilen Sie die aktuellen Herausforderungen in der europäischen Wirtschaftspolitik, und welche Schritte sollte die EU ergreifen, um ihre Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten?

Erstens den Binnenmarkt inklusive einem europäischen Strommarkt stärken, zweitens  den Green Deal abspecken und den Bürokratiewust um die Berichtspflichten der Wirtschaft abschaffen, drittens bei den Kohäsionsfonds sparen, um Geld für andere Aufgaben wie Rüstung zu bekommen, viertens die Verteidigungsbranche in eine europäische Wehrindustrie umbauen, fünftens die Banken- und Kapitalmarktunion durchsetzen – auch wenn es bei den Sparkassen und Volksbanken Heulen und Zähneklappern geben wird.

Nehmen wir an, Sie schreiben eine Fortsetzung Ihrer Biografie über Friedrich Merz. Welche Kapitelüberschrift würden Sie dem nächsten Abschnitt seines Lebens geben?

Das hängt davon ab, wie er sich als Kanzler schlägt. Von „Friedrich der Große“ bis „Gescheitert“ ist jede Überschrift denkbar. Merz hat es jetzt in der Hand und er muss liefern.

 

©Stefan Zeitz

“Friedrich Merz. Die Biographie” (2024) von Daniel Goffart und Jutta Falke-Ischinger

Daniel Goffart präsentierte am 7. April 2025 im Rahmen der WPCD-Veranstaltung in der Thüringer Landesvertretung in Berlin sein neues Buch „Friedrich Merz. Die Biographie“. Einen Rückblick der Veranstaltung sehen Sie hier