11.02.2025 | „So kann es nicht weitergehen“ – Wirtschaftspolitik, Wahlkampf und die Gefahr des Populismus
Steht Deutschland vor einem wirtschaftspolitischen Wendepunkt? Zwischen Rezessionsängsten, globalen Krisen und einem zunehmend populistischen Wahlkampf drohen entscheidende Zukunftsfragen unterzugehen. Im Interview mit dem WPCD ordnet Handelsblatt-Meinungschef Thomas Sigmund die aktuelle Lage ein und erklärt, warum die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland eine klare Vision braucht.

„Populismus und einfache Lösungen sind eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft“ Thomas Sigmund, Meinungschef des Handelsblatts
Wie schätzen Sie die derzeitige wirtschaftspolitische Stimmung in Deutschland ein? Ist die Lage tatsächlich so dramatisch, wie sie oft dargestellt wird, oder gibt es auch positive Aspekte, die in der aktuellen Debatte zu kurz kommen?
Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt mit starken Unternehmen und fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aber hinter uns liegen zwei Jahre Rezession, das hat es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben. Die damalige Bundesregierung reagierte mit der Agenda 2010 auf diesen Abschwung. Eine weitere Rezession in diesem Jahr ist nicht auszuschließen. Die neue Bundesregierung sollte jetzt aufs Tempo drücken, wenn Deutschland nicht noch weiter nach hinten im internationalen Vergleich durchgereicht werden soll.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Art des Wahlkampfs verändert? Beeinflusst der internationale populistische Trend, insbesondere der Trumpismus, auch die politische Kommunikation in Deutschland? Falls ja, wie äußert sich diese Entwicklung konkret?
Das TV-Duell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz hat gezeigt, dass wir vom Wahlkampf eines Donald Trump noch weit entfernt sind. Es ging zwar hart zur Sache, aber verlief insgesamt sehr gesittet, wenn man bedenkt, was da auf dem Spiel steht vor über 12 Millionen Menschen vor den Fernsehern. Die Bürger haben wieder eine wirkliche Wahl. Erinnern wir uns nur kurz an die letzte Große Koalition unter Angela Merkel zurück, als sich alle über den einheitlichen Meinungsbrei beschwerten. Ich finde den Parteienstreit um die richtigen Konzepte gut.
Welche Gefahren sehen Sie, wenn politische Akteure zunehmend auf populistische Rhetorik und einfache Lösungen setzen? Was bedeutet diese Entwicklung für die deutsche Demokratie, den politischen Diskurs und die politische Kultur?
Sie spielen auf die AfD an, die aus dem Euro und der NATO austreten will und eine besondere Nähe zu Russland zelebriert. Die anderen Parteien sollten sich jedenfalls nicht davon unter Zugzwang setzen lassen, sondern versuchen, die Wähler der AfD wieder zurückzugewinnen. Allein die Wirtschaftspolitik der AfD passt einfach nicht zu einer so großen Volkswirtschaft wie der unseren. Mit so einer nationalen Politik können sie nicht weltweit Geschäfte treiben. Am Ende trifft diese wirtschaftliche Verengung auch den Mittelstand und das Handwerk, die unter einer schwächelnden Industrie als allererste leiden. Über die Verrohung des politischen Diskurses habe ich da gar noch nicht gesprochen.
Mit Donald Trump als Präsident verfolgt die US-Wirtschaftspolitik einen harten protektionistischen Kurs und ignoriert Werte wie Nachhaltigkeit, Diversität und soziale Gerechtigkeit. Das Handelsblatt sprach in einem Artikel kürzlich von der „neuen asozialen Marktwirtschaft“. Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser Trend auf die deutsche und europäische Wirtschaft abfärbt? Wie sollten Wirtschaft und Politik in Deutschland und die EU darauf reagieren?
Europa sollte auf jeden Fall nicht überreagieren und auf Eskalation setzen. Der Zollstreit schadet allen. Europa, Deutschland und den USA. Wir müssen allerdings auch sehen, dass Trump am längeren Hebel sitzt. Sicherheitspolitisch sind wir noch auf viele Jahre auf die USA angewiesen. Vielleicht sollten wir uns in diesem Fall an Peking orientieren. China reichte unaufgeregt Klage bei der Welthandelsorganisation ein und reagierte mit gemäßigten Gegenzöllen. Gleichzeitig müssen wir uns nach anderen Freihandelspartnern umsehen, auch wenn wir die USA nie ersetzen können. Aber es gibt Hoffnung: Auch die Trump-Ära wird einmal zu Ende sein.
Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssen dringend auf die politische Agenda gesetzt werden, um Deutschland nachhaltig aus der aktuellen Krise herauszuführen und den Wirtschaftsstandort attraktiv zu gestalten?
Ich will jetzt nicht die Klassiker vom Bürokratieabbau bis hin zu niedrigeren Energiekosten herunterbeten. Beim TV-Duell habe ich mich aber gefragt, warum Merz und Scholz nicht von sich aus über Bildung, Innovation, Künstliche Intelligenz (KI) und Forschung gesprochen haben. Ein Kanzler sollte eine Vision für das Land entwickeln und die geopolitischen Entwicklungen in den Blick nehmen. Die beiden Weltwirtschaftsgorillas USA und China verteilen gerade den Hightech-Wohlstand der Zukunft. Europa steht nur am Rand. Unsere Autoindustrie sucht Wege aus der Krise, und andere verdienen bald viel Geld mit Biotechnologie, Robotik oder Quantencomputern. So kann es nicht weitergehen.
Die CDU, mit Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten, strebt eine unionsgeführte Regierung an, wobei die Koalitionspartner noch ungewiss sind. Wie schätzen Sie die Fähigkeit der kommenden Regierung ein, überhaupt eine kohärente und effektive Wirtschaftspolitik zu gestalten aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ansätze der potenziellen Partner?
Friedrich Merz sagt immer, SPD oder Grüne müssten sich nun auf die Union zubewegen. Die Mehrheit der Bevölkerung wolle einen Politikwechsel, das müssten beiden Parteien einsehen und einlenken. Ich bin da sehr skeptisch.
Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Herr Sigmund.
Thomas Sigmund hielt am 11. Februar 2025 beim WPCD-Neujahrsempfang in Berlin einen Impulsvortrag. Mehr Information zur Veranstaltung finden Sie hier.